Oskar Brüsewitz

* 30. Mai 1929, Vilkyškiai

† 22. August 1976, Halle

„Funkspruch an alle… Funkspruch an alle… Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus, klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“

Oskar Brüsewitz, 18. August 1976

Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz übergoss sich am 18. August 1976 mit Benzin und zündete sich an, um gegen die Unterdrückung der Christen in der DDR und gegen die Kollaboration der evangelischen Kirchenleitung und dem Staat zu protestieren.

Oskar Brüsewitz wurde am 30. Mai 1929 in Litauen in eine ökumenische Familie geboren. Schon von Jugend an war er gemeinsam mit seinen drei Brüdern von der christlichen Umgebung beeinflusst, die sie umgab; seine Entwicklung wurde vor allem von der evangelischen Konfession seines Vaters geformt. Zwischen den Jahren 1935 und 1943 ging er zur Volksschule und später machte er eine Ausbildung zum Kaufmann. Im Alter von 16 Jahren wurde er zur Wehrmacht berufen und bis zum Kriegsende kämpfte er als Panzerfaust-Schütze gegen die Rote Armee in Warschau, Litauen und Ostpreußen. Kurz vor dem Kriegsende kam er in die sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im Herbst 1945 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und lernte Schuhmacher in Chemnitz. Zwei Jahre später ließ er sich mit seiner Familie in Osnabrück im Westsektor nieder. Seit 1949 wirkte er als Gewerbetreibender und spezialisierte sich auf Kinderschuhe. Im Jahre 1951 ließ er sich aber scheiden und drei Jahre später siedelte er nach Ostdeutschland über, wo er 1955 ein zweites Mal gereiratet hat. Später wirkte er im thüringischen Weißensee. In dieser Zeit entwickelte er ein intensives Interesse für das Theologiestudium. Gesundheitliche Probleme zwangen ihn aber, das in Luthers Geburtsstadt Wittenberg angefangene Studium im Predigerseminar nach einigen Wochen zu beenden.

Im Jahre 1963 wurde sein kleiner Schuhbetrieb in eine Genossenschaft umgewandelt, in der Brüsewitz kurzzeitig als Abteilungsleiter tätig war. Schon ein Jahr später begann er sein Studium an der Predigerschule Erfurt, das er 1969 erfolgreich beendete. Ein Jahr lang war er Hilfspfarrer in der kleinen Stadt Droßdorf-Rippicha (Kreis Zeitz) und von Ende 1970 bis August 1976 wirkte er hier als Pfarrer. Mit seinen radikalen Veranstaltungen gegen den vom Staat verordneten Atheismus der Gesellschaft und seiner systematischen und innovativen Arbeit mit der Jugend irritierte er nicht nur die Staatssicherheit, die ihn seit Mitte der 50er Jahre bespitzelte und als „kämpferischen Pfarrer“ bezeichnete, sondern auch die Leitung der Kirche. Diese hatte seiner Ansicht nach unzureichend auf die Antikirchenpolitik der Kommunistischen Partei reagiert. Große Aufmerksamkeit weckte zum Beispiel seine Reaktion auf die Propaganda der Partei, die im Jahre 1975 mit dem Motto „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“ kam. Brüsewitz schrieb damals auf sein Pferdefuhrwerk „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott“ und machte sich auf den Weg in die Kreisstadt Zeitz, wo er einen Stau verursachte.

Allmählich nahm der Druck staatlicher Organe auf Brüsewitz’ Obere zu. Die Kirche begann über seine Versetzung zu sprechen und bereitete eine Kontrolle seiner Tätigkeit vor. In dieser Zeit fing Brüsewitz an, sich zielsicher für medizinische Informationen zu interessieren, die Folgen von Selbstverbrennung beschrieben. Im Sommer 1976 entschied er sich, die Tat auszuführen, die auf Dauer die Haltung vieler Pfarrer und Gläubigen zur Situation der evangelischen Kirche in der DDR veränderte. Am 18. August frühstückte er mit seiner Familie, ließ sich von seiner Tochter sein Lieblingsstück auf dem Klavier vorspielen und umarmte seine Frau. Dann stieg er ins Auto und fuhr nach Zeitz, wo er kurz nach 10 Uhr vormittags ankam. Er hielt vor der Kirche an und platzierte auf seinem Wagen ein Transparent mit der Aufschrift „Funkspruch an alle… Funkspruch an alle… Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“. Danach begoss er sich mit Benzin und zündete sich an. Obwohl ihn Passanten nach wenigen Minuten löschten, war sein Zustand sehr ernst. Vier Tage später, am 22. August 1976, starb Oskar Brüsewitz, ohne dass die Stasi seine Frau zu ihm gelassen hatte.

Die Lebensgeschichte von Oskar Brüsewitz ist zweifellos ein Beispiel dafür, wie ein Mensch allmählich gegen eine totalitäre Macht aufbegehrt, die sich durch das Infragestellen ihres Machtmonopols grundsätzlich bedroht fühlt. Gleichzeitig beweist seine Geschichte, dass das Bedürfnis, die eigene sittliche Integrität zu schützen, den Einzelnen zu einer Tat führen kann, die diese Integrität der eigenen Existenz überordnet. Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz rief keine massive Reaktion in der ostdeutschen Gesellschaft hervor, wie es in der Tschechoslowakei nach Jan Palachs Tod der Fall war. Trotzdem hatte sein Opfer eine außerordentliche Bedeutung. Viele begriffen, dass man nicht weiter dem staatlichen Druck nachgeben konnte, und begannen aktiv inoffizielle Aktivitäten der Kirche zu unterstützen. Der deutsche Historiker Ehrhart Neubert zählt die Tat von Oskar Brüsewitz mit Recht zu den bedeutendsten Ereignissen der Geschichte des ostdeutschen Widerstands.

Literatur: >>>

KLIER, Freya: Oskar Brüsewitz – Leben und Tod eines mutigen DDR-Pfarrers. Bürgerbüro, Berlin 2004.

KOWALCZUK, Ilko Sascha – SELLO, Tom: „Für ein freies Land mit freien Menschen.“ Opposition und Widerstand in Biographien und Fotos. Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2006.

KRAMPITZ, Karsten – TAUTZ, Lothar – ZIEBATH, Dieter (eds.): „Ich werde dann gehen…“. Erinnerungen an Oskar Brüsewitz. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006.

MOTSCHMANN, Klaus: Oskar Brüsewitz. Naumann, Würzburg 1978.

MÜLLER-ENBERGS, Helmut – STOCK, Wolfgang – WIESNER, Marco: Das Fanal. Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz aus Rippicha und die evangelische Kirche. Aschendorff, Münster 1999.

NEUBERT, Ehrhart: Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989. Christoph Links Verlag, Berlin 1997.

SCHULZE, Harald (ed.): Das signal von Zeit – Reaktionen der Kirche, des Staates und der Medien auf die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz 1976. Eine Dokumentation. Leipzig 1993.

VILÍMEK, Tomáš: „Protestuji proti církevní politice NDR!“, In: BLAŽEK, Petr – EICHLER, Patrik – JAREŠ, Jakub a kol: Jan Palach ´69. FF UK – ÚSTR – Togga, Praha 2009, s. 128–137.

ZECH, Karl-Adolf: Die Angst vor dem toten Landpfarrer, In: Horch und Guck, roč. 2, č. 19 (1996), s. 1–32.