Evžen Plocek

* 29. Oktober 1929, Iglau

† 9. April 1969, Iglau

Auf dem Weg zum Sozialismus folgten wir der Sowjetunion. Da wir eng hinter der Sowjetunion gingen, schauten wir ihr auf den Rücken. Wenn sie einen Umweg machte, machten auch wir einen Umweg. Wenn wir vorwärts zum Ziel und weiter schauen würden, würden wir uns vielleicht dessen bewusst, dass jeder von uns beiden für diesen Weg andere Schuhe hat, und wären also nicht so erschöpft wie heute.

Evžen Plocek, 5. Mai 1969

Am Karfreitag, dem 4. April 1969, übergoss sich der 39-jährige Fabrikangestellte Evžen Plocek in einer Hauseinfahrt am Iglauer Friedensplatz mit zwei Flaschen Lösungsmittel und zündete sich an.

Evžen Plocek wurde am 29. Oktober 1929 in Iglau in eine Arbeiterfamilie geboren. Die Eltern erzogen ihn religiös. Mit seinem älteren Bruder František besuchte er den Sportverband Orel und nahm auch an Pfadfinderveranstaltungen teil. Er absolvierte die Volks- und Bürgerschule und schon 1943 begann er, in der Iglauer Fabrik der „Lionel Werke“ den Beruf des Werkzeugmachers zu erlernen. Von dort wechselte er drei Jahre später, bereits als Mitglied der Revolutionären Gewerkschaftsbewegung (ROH), in das neu gegründete Unternehmen Pal (später der VEB Motorpal Iglau), wo er durchgehend bis zu seinem Tod arbeitete. Nach Ableisten des Wehrdienstes zwischen 1950 und 1952 heiratete Evžen Plocek Zdena Dolníková, eine Angestellte aus dem gleichen Betrieb. Anderthalb Jahre später kam ihr Sohn Jiří zur Welt.

Im Jahre 1955 wurde Plocek Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) und wechselte von der Gerätewerkstatt zu einer bezahlten Stelle als Vorsitzender der Betriebsgewerkschaftsleitung der ROH. 1960 absolvierte er einen Fernkurs zum Außenhandel an der Wirtschaftsuniversität Prag um aus der gewerkschaftlichen Funktion in die Abteilung des handelstechnischen Betriebsdienstes zu wechseln, wo er zum Leiter wurde.

Evžen Plocek gehörte zu den aktiven Anhängern des Wiedergeburtsprozesses der kommunistischen Partei und der tschechoslowakischen Gesellschaft. Im Frühling 1968 wurde er zum Mitglied des Iglauer Kreisausschusses der KSČ. Ende Juni desselben Jahres wurde er als Delegat auf die XIV. außerordentliche Tagung der KSČ sowie in die Zentralorgane der Partei empfohlen. Die Tagung, an der Plocek teilnahm, fand unmittelbar nach der Augustinvasion der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei statt. Die folgende Zeit durchlebte er sehr emotional, wobei er die Entwicklung ab August öffentlich kritisierte.

Obwohl er sehr enttäuscht darüber war, dass die Reformbewegung unterdrückt wurde, hielt er die Situation in der Tschechoslowakei nicht für verloren, wovon der emotionale und pathetische Brief zeugt, den er nach seiner Rückkehr von der Tagung in Vysočany am 30. August 1968 schrieb. „Die Gewalt hat zwar auf Zeit gewonnen – hat jedoch nie unsere Idee zerstört. (…) Wir werden die Standpunkte unserer Mitstreiter begreifen. Es sind Standpunkte von Märtyrern. Ich habe nie so viel Liebe zur Heimat, zur Freiheit, zum Kommunismus gesehen wie in der Hauptstadt dieses so unglücklichen Landes.“

Anfang März 1969 trat er auf der Plenartagung des Kreisausschusses der KSČ in Iglau mit einem kritischen Beitrag auf. Er sprach dort über den Einfluss der Partei auf das Geschehen in der Gesellschaft nach der Invasion, deren „ideologische Wirkung wie eine Pflanzung in einem geschlossenem Glashaus war“, über die Unattraktivität des Begriffes „Sozialismus“ für die tschechoslowakische Jugend, sowie über die Fehler in der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Er warnte davor, dass sich die Partei hinter einer Mauer verschließt. und rief dazu auf, aktiv zu werden. Er glaubte, dass „man auf das Wort der Partei noch (…) wartet, dass es tatsächlich die objektive Führungsaufgabe der Partei gibt“. Eva Kantůrková schreibt in ihrer Reportage „Verschwiegenes Opfer…“ (Zamlčená oběť…), dass der Umbruch in Ploceks Verhalten nach der Plünderung des Prager Büros von Aeroflot während der antisowjetischen Demonstrationen in der Nacht vom 28. auf den 29. März eintrat. Diese Demonstrationen brachen spontan nach dem Sieg der tschechoslowakischen Mannschaft über die der Sowjetunion während der Eishockeyweltmeisterschaft in Stockholm aus. Der Anlass für die Plünderung war wahrscheinlich polizeiliche Provokation. „Mit solch primitiven Menschen, wie denen da oben, werde ich nicht in der Partei sein“, lautet in diesem Zusammenhang eine Mitteilung Ploceks in einem zeitgemäßen Eintrag des Vorstands des Kreisausschusses der KSČ in Iglau (28.04.1969).

Aus unmittelbaren Motiven – neben der allgemeinen politischen Situation, dem Verlust der Stellung der Mitglieder der Reformleitung – ist es von Bedeutung, dass genau in diesen Tagen das theoretisch-politische Wochenblatt des Zentralausschusses KSČ Politika verboten wurde. Dieses trug in seiner Überschrift ein Zitat des italienischen Kommunismustheoretikers der Zwischenkriegszeit Antonio Gramsci: Wahrheit ist revolutionär. Die gleiche Losung schrieb Plocek auf eines der Flugblätter, die er am Schicksalstag auf den Iglauer Friedensplatz (náměstí Míru) mitnahm. Es war Karfreitag, der 4. April, kurz nach 18 Uhr, als er sich in der Hauseinfahrt eines der Häuser am Friedensplatz mit zwei Flaschen Verdünner übergoss, die er zuvor in einem nahegelegenen Geschäft gekauft hatte. Auf dem Marktplatz fand zu dieser Zeit eine Kirchweih statt. Er legte in der Schießbude zwei zusammengefaltete Flugblätter ab, das zweite mit der Schrift Ich bin für das menschliche Antlitz, ich hasse Ungefühl – Evžen und dann zündete er sich an. Seine brennende Gestalt zwischen den Karrussells hielten die Menschen zunächst für eine weitere Attraktion. Erst nach einer Weile begannen sie ihn zu löschen.

Evžen Plocek starb am 9. April 1969 im Iglauer Krankenhaus. Zwei Tage später wurde seine Beerdigung auf dem Motorpal-Areal im Iglauer Viertel Staré Hory ausgerichtet. Diese wurde zu einer großen Manifestation. An dem Trauerakt nahmen laut Augenzeugenberichten zwei- bis zweieinhalbtausend Menschen teil, allein dem Herablassen des Sarges in das Grab auf dem Iglauer Friedhof wohnten dreitausend Menschen bei. Abgesehen von zwei partiellen Nachrichten schenkten die zentralen Medien der Tat Ploceks jedoch keine Aufmerksamkeit. Laut Eva Kantůrková, soll sogar der Vorsitzende der föderalen Regierung, Oldřich Černík, mit persönlichem Befehl die Iglauer Funktionäre verpflichtet haben, der Presse keine Meldungen über Plocek zu herauszugeben. Die Iglauer Tagespresse zitierte aber umfangreich die öffentliche Erklärung des Vorstands des Kreisausschusses der KSČ. Aus dieser wurde klar, dass Ploceks Tat politisch motiviert war. Gleichzeitig schrieb man dort aber von einer „in den letzten Ereignissen wurzelnden geistigen Depression“, an der Plocek gelitten habe und durch die seine Tat bedingt sei. Auch deshalb lehnte dann die Kreisleitung der Kommunisten sein Verhalten als unbedacht ab. Wegen der Zensur fand seine Tat nur in Iglau und Umgebung einen gewissen Widerhall. Die gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit widmete man ihm erst Ende der 80er Jahre, als ihn die Dissidenten aus der Bewegung für bürgerliche Freiheit für das öffentliche Gedächtnis entdeckten.

An Ploceks Tat erinnert heute in Iglau ein kleines Denkmal bei der Pestsäule am Masarykplatz.

Literatur: >>>

EICHLER, Patrik: Následovníci Jana Palacha. Evžen Plocek, In: BLAŽEK, Petr – EICHLER, Patrik – JAREŠ, Jakub a kol: Jan Palach ´69. FF UK – ÚSTR – Togga, Praha 2009, s. 108–114.

KLUKAN, Petr: Zamlčená oběť. Almanach ke 40. výročí sebeupálení Evžena Plocka z Jihlavy, Jihlava 2009.

LEDERER, Jiří: Jan Palach. Zpráva o životě, činu a smrti českého studenta, In: BLAŽEK, Petr – EICHLER, Patrik – JAREŠ, Jakub a kol: Jan Palach ´69. FF UK – ÚSTR – Togga, Praha 2009, s. 231–345.

ZÍDEK, Petr: Záhada pochodně č. 3, In: Lidové Noviny, 11. dubna 2009.